Was sind Bildikonen und wie wurden sie zum Thema der Tübinale 2024?

Ein Beitrag von Frances Stoutenburgh


Prof. Dr. Klaus-Sachs-Hombach ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er vertritt die Professur "Medienwandel und Medieninnovationen". In diesem Bereich spezialisiert er sich mit visueller Kommunikation und vor allem mit der Wirkungsmacht und dem Potential von Bildern.


Im Rahmen eines Experteninterviews durften wir Prof. Dr. Sachs-Hombach zu seinem Spezialgebiet Bildwissenschaft und zum diesjährigen Tübinale-Thema "Bildikonen" befragen.


Wie sind Sie zur Spezialisierung der Bildwissenschaft gekommen?

 

Ich komme ursprünglich aus der Philosophie, wo das Thema Bild eher ein Randthema ist. Es speilt aber in manchen Bereichen der Wissenschaft, also Erkenntnistheorie, insbesondere aber auch in der Metapherntheorie, durchaus eine Rolle. Dabei hatte Blumenberg, der Lehrer meines Doktorvaters, eine spezielle Metapherntheorie mit bildlichen Elementen. Ich habe mich dann mit Kognitionswissenschaft und mentalen Bildern beschäftigt, was mich zum Thema meiner Habilitationsschrift führte, nämlich, "Warum gibt es eigentlich keine Bildwissenschaft, wie es eine Sprachwissenschaft sehr erfolgreich gibt?" Aus dem Versuch das zu beantworten und damit auch Besonderheiten der Bilder zu klären, ist eine lebenslange Beschäftigung geworden. Ursprünglich war das verbunden mit der Hoffnung, dass man in transdisziplinärer Weise dieses etwas kompliziertere Forschungsfeld beackert. Dies ist teilweise gelungen und so habe ich zur Organisation solcher interdisziplinären Forschung beigetragen. 


Was hat Sie besonders an dem Thema interessiert?

 

Eigentlich habe ich mich im Wesentlichen immer mit Kommunikation beschäftigt. Kommunikation zerfällt meines Erachtens sehr allgemein in zwei Bereiche, die aber oft gemeinsam auftreten, nämlich Sagen und Zeigen.  Das miteinander Reden ist natürlich eine dominante Form, die auch traditionell immer höher eingeschätzt worden ist, während das ganze Nonverbale oder auch das Visuelle lange Zeit vernachlässigt worden war. Das war der Versuch, auch die Bereiche mit in die Forschungsperspektive zu bekommen, die bisher vernachlässigt worden sind und insbesondere zu fragen, wie Text und Bild miteinander interagieren und welche Effekte diese Interkation hat. Das ist schon vor langer Zeit unter dem Stichwort "nonverbale Kommunikation" behandelt worden. Wir kommunizieren also eigentlich immer multimodal. Aber für den speziellen Einsatz von Bildern, etwa in Lehrbüchern, wo Visualisierungen die Regel geworden sind, ist es lange Zeit nicht wirklich erforscht worden.  Insofern ist das ein Thema gewesen, wo es einen gewissen Forschungsbedarf gab.


Wie sind Sie auf das diesjährige Tübinale-Thema "Bildikonen" gekommen?

 

Die Tübinale ist an die Vorlesung "Medienwandel und Medienkonvergenz" gekoppelt, die als Pflichtvorlesung im dritten Semester der Medienwissenschaft alle Studierenden durchlaufen müssen. Das Thema "Medienkonvergenz" ist immer festgesetzt durch die Vorlesung und dazu entwickle ich jedes Jahr ein zweites Thema, das als Schwerpunktthema hinzugenommen wird und gleichzeitig das Thema für die Tübinale-Filme ist. Dieses Jahr ist es eben "Medienkonvergenz und Bildikonen". Wobei Ikonen jetzt nicht diese klassischen Ikonen in der orthodoxen Kirche sind, sondern auch die Bilder bezeichnen, die eine besondere Bedeutung für das Verständnis konkreter Ereignisse haben, eine besondere Verbreitung gefunden haben und in besonderer Weise gesellschaftlich wichtig geworden sind. Sie prägen in gewisser Weise das kollektive Gedächtnis und sind entsprechend nach meinem Dafürhalten wichtig, um gegenwärtige gesellschaftliche Prozesse zu verstehen. Darum ist es naheliegend, dass dieses Thema mal als Schwerpunkt genommen wird. In diesem Fall kam hinzu, weil ich nicht mehr so lange an der Universität beschäftigt sein werde, dass ich ein Thema nehmen wollte, was im Rahmen meiner speziellen Forschungen liegt, also ein Bildthema und spezieller, das Thema der Bildikonen. Das war für mich ein interessanter Abschluss. 


Kommt Ihnen eine Bildikone ins Gedächtnis, wo Sie sagen, das ist auf jeden Fall eine sehr wichtige, sehr große Bildikone?

 

Ja, es gibt ganz viele und viele sind schrecklicher Natur. Ein Beispiel wäre das Bild mit dem kleinen Mädchen aus dem Vietnamkrieg, das einem Napalmangriff entkommt, das sogenannte "Napalm-Bomb-Attack". Solche Bilder eignen sich sehr gut für die Analyse, obwohl sie schrecklich sind. Ein schöneres Beispiel wäre das sogenannte "Blue Marble" Bild, eins der ersten Bilder, die von unserer Erde vom Weltall aus aufgenommen worden sind. Das würde man auch als Bildikone bezeichnen, weil das ein spezielles Verhältnis für unser Selbstverständnis als Menschen, die einen Planeten beleben, hat. Das war das erste Mal, dass wir uns sozusagen von außen betrachten konnten. Diese Betrachtung von Außen durch dieses Bild, auch mit der Farbigkeit des Bildes, ist für spätere Umweltbewegungen sehr wichtig gewesen. Auch für die "Fridays for Future" Bewegung spielt es eine Rolle, indem wir mittels dieses Bildes unseren Planeten als Gegenstand, um den wir uns kümmern müssen, betrachten können. Es ist insofern eine Ikone, weil es bestimmte Sorgen und Gedanken zusammenfasst und als ein Schlagbild in Bewegungen aktualisiert werden kann. Es hat auch natürlich politische Implikationen. Wenn man gar keine Bilder hätte, würden wahrscheinlich Bewegungen allgemein, insbesondere politische Bewegungen, weniger erfolgreich sein. 

 

Blue Marble, NASA


Wie können Bilder von verschiedenen Seiten instrumentalisiert werden?

 

Die Grundfunktion solcher Ikonen ist, dass sie vorgeben, wie über ein bestimmtes Ereignis nachzudenken ist. Das funktioniert nur, wenn die Bilder in besonderer Weise inszeniert und verdichtet sind, also wenn sie eine bestimmte Grundaussage transportieren können. Deswegen hat man in der Regel ganz viele Bilder, die in Konkurrenz stehen und unter denen man auswählt. Diese werden bearbeitet, bis sie der intendierten Funktion und kommunikativen Absicht gerecht werden. Sie müssen dann natürlich auch durch zahlreiche Vervielfältigungen immer wieder aktualisiert und in gewisser Weise ins Gedächtnis eingebrannt werden. Nicht alle Bilder können zu Ikonen werden, weil sie nicht alle die kognitiven kulturellen Voraussetzungen erfüllen. Es ist ein komplizierter Prozess, an dem viele Akteure beteiligt sind. Wenn man das bewusst einsetzen will und ein Ereignis verfälschen will, dann kann man das natürlich manipulieren. Ein Beispiel sind die Bilder der führenden Politiker aus der sowjetischen Zeit, bei denen man Trotzki, der in Ungnade fiel und dann auch umgebracht worden ist, nachträglich rausretuschiert hat. Das sind klare Fälle von Manipulation.

Das ist eine Möglichkeit, aber man kann auch im Vorfeld bestimmte Bilder bevorzugen und sehr bewusst einsetzten, um bestimmte persuasive Ziele zu erreichen. Auch in der Werbung werden Bilder mithilfe von entsprechenden Gestaltungsweisen und mithilfe von Wissen über die psychologischen Prozesse der Bildrezeption so manipuliert, dass sie gezielte Wirkungen verstärken. Die These wäre, dass man mit Bildern prinzipiell besser manipulieren kann als mit Texten, weil sie dies im Verborgenen tun. Wir neigen dazu das, was wir im Bild sehen, als Real anzunehmen, was natürlich Quatsch ist. Bilder sind wahrscheinlich hochgradiger inszeniert als Texte, aber das sieht man den Bildern nicht an. Das ist eine besondere Wirkungsmacht, die man nicht erkennt, also dass die Authentizität, die Bilder vermitteln, immer inszeniert ist. Es gibt insofern keine authentischen Bilder, weil Bilder Darstellungen sind, die ohne Perspektive und Inszenierung gar nicht möglich sind.


Wie könnten aus bildwissenschaftlicher Sicht KI-Bilder auf die zukünftige Entwicklung von Bildern in den Medien auswirken?

 

Die Zukunft ist ja immer schwierig vorherzusagen, weil sie offen ist und von vielen Faktoren abhängt. Was man auf jeden Fall sagen kann ist, dass die Möglichkeiten der Bildmanipulation sich schlagartig enorm erweitert haben. Man kann jetzt Bilder von völlig fiktiven Zusammenhängen herstellen. Man kann einem Bild eine Stimme oder einen Ausdruck geben, der gar nicht gegeben ist, der frei erfunden ist. Wir haben nicht mehr die Möglichkeit, an dem Bild selber zu entscheiden, ob es etwas Reales zeigt oder nicht. Dies ist wahrscheinlich nur durch Experten feststellbar. Man kann jetzt nur hoffen, dass gleichzeitig das Bewusstsein dieser Möglichkeiten bei den Rezipienten zunehmen wird und man den Bildern Authentizität nicht mehr zuspricht. Aber es ist schwierig zu beurteilen, ob Menschen sich da wirklich ändern. Wir haben schon mit der digitalen Fotografie gesehen, dass Manipulationsmöglichkeiten ohne Weiteres gegeben sind, aber gleichzeitig das Vertrauen Bildern gegenüber nicht unbedingt abgenommen hat. Dieses Vertrauen in die Authentizität von Bildern ist unterbewusst und unterschwellig  weiterhin wirksam und gibt Bildern die Macht, Einstellungen zu verändern. Wenn einerseits diese Manipulationsmöglichkeiten sich enorm erhöht haben und andererseits unser Verhältnis zu Bildern traditionell bleibt, dann ist das natürlich ein Problem, weil diejenigen, die das nutzen können das auch nutzen werden.

Von Vorteil wäre, dass regulatorische Maßnahmen ergriffen werden. Also, dass für Pressefotografien Nachweise dafür, wie sie hergestellt worden sind, erbracht werden müssen, dass offengelegt werden muss, ob ein Bild ein KI-Bild ist und dass die, die das nicht offenlegen, aus dem offiziellen Kontext verbannt werden. Das wird es irgendwie geben müssen, weil ohne regulatorische Maßnahmen würde Öffentlichkeit, insbesondere visuelle Darstellungen in der Öffentlichkeit, völlig wertlos werden. Das würde bedeuten, dass auch die Grundlagen demokratischer Prozesse verunmöglicht werden. Ich kann mir aber gar nicht vorstellen, dass das in dem Maße passieren wird. Wünschenswert wäre, dass Verantwortliche oder auch die Bürger*Innen hinreichend Bewusstsein entwickeln und das verhindern. Es ist auf jeden Fall ein großes Problem, aber es ist nicht das einzige. Die Zukunft scheint im Wesentlichen Probleme bereitzuhalten. 


Aus Darstellungsgründen wurde das Interview in einigen Passagen nicht wortwörtlich wiedergegeben, sondern leicht abgeändert. Die Kernaussagen sind jedoch dem Original entsprechend.

 

Bildquelle:

https://www.nasa.gov/wp-content/uploads/2023/03/as17-148-22727_lrg_0.jpg