Interviewführung: Laura Walter und Fenja Dräger
Transkription: Helena Harms
Heute begrüßen wir Herrn Prof. Dr. Klaus Sachs-Hombach bei uns. Er ist seit 2011 als Professor für
Medienwissenschaft am Lehrstuhl für Medieninnovation und Medienwandel hier an der Universität
Tübingen tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bild-, Zeichen-, Medien- und
Kommunikationstheorie, aber auch philosophische Probleme der Psychologie und
Kognitionswissenschaft und die Geschichte der Philosophie. Zudem hat er das studentische Kurzfilmfestival, die Tübinale, ins Leben gerufen und viele Jahre als Schirmherr begleitet. Anlässlich seiner Pensionierung freuen wir uns über die Gelegenheit, um auf seine langjährige Zeit bei der Tübinale zurückzublicken und seine Arbeit zu würdigen. Wir freuen uns sehr, Sie heute hier zur haben, Herr Professor Sachs-Hombach.
Fenja Dräger:
Wie entsteht denn jedes Jahr das Thema für die Vorlesungsreihe und somit auch für die Tübinale? Orientieren Sie sich da eher an aktuellen Geschehnissen oder persönlichen
Interessen?
Sachs-Hombach:
Ja, vielen Dank erstmal, dass ich hier die Gelegenheit habe, etwas von mir, aber vor allem auch über die Tübinale zu erzählen.
Sie beginnen mit der Themenfindung. Da gibt es drei Schwerpunkte, die ich immer berücksichtige. Erstens: wissenschaftlicher Bezug. Das Thema sollte insbesondere medienwissenschaftlich ergiebig sein und entsprechend für Studierende der Medienwissenschaft eine Bereicherung ihrer Studien darstellen. Zweitens: gesellschaftliche Relevanz. Ich versuche immer Themen zu finden, die aktuell in der Presse aufgenommen worden sind und ein wichtiges Problem behandeln. Drittens: politisches Engagement. Die Themen sollten zur Stellungnahme provozieren. Hier kommen auch persönliche Interessen ins Spiel. Ich würde keine Themen wählen, die mir politisch nicht interessant erscheinen. Aus diesen drei Kriterien hat sich bisher immer ohne weitere Probleme ein geeignetes Thema ergeben.
Fenja Dräger:
Warum haben Sie sich dieses Jahr für das Thema „Macht der Bilder“ entschieden?
Sachs-Hombach:
Dieses Jahr ist für mich ein besonderes Jahr, weil es das letzte Jahr ist, in dem ich die G3-Vorlesung halte und damit das Thema vorgebe. Die Vorlesung ist auch dieses Mal so konzipiert gewesen,
dass es ein allgemeines Thema gibt, nämlich Medienwandel und Medienkonvergenz (man könnte auch einfacher sagen: Medien im digitalen Zeitalter), das ich mit einem speziellen Schwerpunkt versehe.
Der spezielle Schwerpunkt ergab sich dieses Jahr eher aus meiner persönlichen Forschungsorientierung, nämlich Bildtheorie oder visuelle Kommunikation, die sich dann in Verbindung mit den
genannten Kriterien zum Thema „Die Macht der Bilder“ konkretisiert hat.
Das hat mir die Vorbereitung vereinfacht, weil ich mich mit diesem Thema gut auskenne und auch sehr spezifisch Referent*innen zu einigen speziellen Aspekten einladen konnte. Zudem ist es für mich aber sehr angenehm, meine Zeit an der Universität mit meinem Thema abzuschließen, das mich die gesamte Karrierezeit hindurch begleitet hat.
Fenja Dräger:
Wie spiegelt das Thema denn die aktuellen Herausforderungen und Entwicklung der Medienlandschaft wider?
Sachs-Hombach:
In letzter Zeit hat man in politischen Zusammenhängen oft von Desinformation und Fake News gehört. Diese beiden Stichwörter gelten zwar nicht nur für visuelle Inhalte, in der Regel sind
Desinformationskampagnen aber stark mit Bildern versehen, weil man mit Bildern besonders effektiv Emotionen erzeugen und lenken kann, um so politische Einstellungen zu verstärken oder auch
abzuschwächen. Insofern sind es ganz besonders die Bilder, die in den aktuellen politischen Umbrüchen eine sehr negative Rolle spielen und undemokratische Entwicklungen fördern. Im Rahmen von
Desinformationskampagnen gefährden sie Demokratie und verzerren politische Entscheidungsprozesse ganz erheblich.
Fenja Dräger:
Sie haben jetzt die Risiken angesprochen. Welche Chancen ergeben sich denn Ihrer Meinung nach aus dieser Macht der Bilder?
Sachs-Hombach:
Allgemein gesprochen ist das Wenigste an sich gut oder schlecht. Das Meiste besitzt eine gewisse Ambivalenz. Da sich jede technische Entwicklung missbrauchen und gegen demokratische Prozesse
richten lässt, kommt es bei der Beurteilung in der Regel auf die konkrete Verwendung an. Für Bilder speziell ist es so, dass sie in der Entstehungsgeschichte der Menschen sehr wichtig waren.
Menschen haben offensichtlich sehr früh damit angefangen, Bilder herzustellen. Die Höhlenmalereien gehören entsprechend zu den ältesten Zeugnissen unserer Kultur. Sie haben sicherlich auch eine
besondere Rolle im Menschwerdungsprozess gespielt und erheblich zur Sprach- und Schriftentwicklung beigetragen. Bilder haben in unserer Kultur also immer eine wichtige und positive Rolle
eingenommen, sie können aber auch, wie gesagt, missbraucht werden.
In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass dieser Missbrauchsaspekt sehr stark in den Vordergrund gerückt ist und Bilder sich im Zusammenhang mit den sozialen Medien in etwas grundsätzlich Negatives verwandelt haben. Alle Hoffnungen, die ursprünglich mit den sozialen Medien verbunden waren, sind eigentlich zutiefst enttäuscht worden. Dazu hat auch die massenhafte Verwendung von Bildern beigetragen, so dass man sich heute fragt, wie man diese Geister wieder loswird, die eigentlich Gutes bewirken sollten, mit denen aber faktisch allzu oft nur Schlechtes befördert wird.
Es gibt natürlich Bereiche, in denen Bilder hilfreich sind. Bilder können zum Nachdenken anregen, neue Ideen generieren und Unterscheidungsfähigkeiten befördern. In den Museen finden sich jede Menge dieser speziellen, außergewöhnlichen Bilder, die über jeden Zweifel erhaben sind. Kunsthistorische Analysen können sie zum Sprechen bringen und ihre Potenziale aufzeigen. Quantitativ gesehen sind diese Bilder aber in der Minderheit. Quantitativ bilden die Bilder, die in sozialen Medien zirkulieren, die einflussreiche Mehrheit. Indem ihre Rezeption zudem innerhalb einer Aufmerksamkeitsökonomie erfolgt, wird ohnehin kaum noch die Zeit aufgebracht, die gute Bilder brauchen, um angemessen rezipieren werden zu können. Nach meinem Dafürhalten sollten wir gegenüber den Bildern im öffentlichen Diskurs, insbesondere in politischen Zusammenhängen, also eher Skepsis walten lassen.
Fenja Dräger:
Haben Sie über die Jahre bemerkt, ob sich der Medienwandel auch im praktischen Sinne bei der Entwicklung der Kurzfilme widerspiegelt? Also zum Beispiel durch die Nutzung von neuen Technologien
oder Erzähltechniken?
Sachs-Hombach:
Teilweise ist das der Fall. Nehmen wir das Beispiel der generativen Bildlichkeit. Dies ist ein relativ neues Phänomen. Auch Animationsfilme hat es früher eher selten gegeben. Mit den neuen
technischen Möglichkeiten lassen sich solche Filme heute einfacher herzustellen. Wichtiger als diese technischen Aspekte scheint mir aber die Möglichkeit, die bereits produzierten Filme,
insbesondere die prämierten Filme, im Nachhinein erneut anschauen zu können. Wenn man sich als Filmteam durch die zehnjährige Geschichte prämierter Filme durchklicken kann, hilft das natürlich,
um sich eine Vorstellung von guten Filmen zu bilden. Damit verbessern sich die Bewertungsstandards und in der Regel steigt dann auch das Niveau insgesamt.
Laura Walter:
Sie meinen, der Medienwandel zeigt sich darin, dass man die Videos auch veröffentlichen kann und die nachfolgenden Studierenden sich daran orientieren können?
Sachs-Hombach:
Ich würde hier nicht von Medienwandel sprechen, sondern von filmischer Qualität. Die Qualität der Filme nimmt zu, wenn man auf die Geschichte der prämierten Filme zurückblicken kann. Dagegen wäre
die Verwendung neuer Technologien, also etwa generative Bildlichkeit, durchaus ein Medienwandel, der auch feststellbar ist, den ich aber für die Qualität der Filme nicht als den entscheidenden
Faktor sehe. Mitunter sind diejenigen Filme sehr viel besser, die von technischen Neuerungen absehen und eher traditionell produziert wurden. Technische Entwicklung und ästhetische oder auch
analytische Qualitäten sind also ganz unabhängig voneinander.
Laura Walter:
Jetzt wollen wir nochmal auf die letzten Jahre der Tübinale zurückblicken. Gibt es für Sie besondere Highlights aus den vergangenen Jahren, die Ihnen in Erinnerung bleiben werden?
Sachs-Hombach:
Ich würde das mit der Frage verbinden wollen, die Sie schon angekündigt haben, ob es einen Film gibt, der mich besonders inspiriert hat. Ich habe darüber nachgedacht: Es ist gar nicht so einfach,
im Nachhinein die vielen Tübinale-Filme gegenwärtig zu halten. Aber es gibt doch einen Film zum Thema Überwachung, der mir sehr stark in Erinnerung geblieben ist: „Mary had a little lamp“. (Das
Team aus Helen Khorrami, Latisha Kurt und Marianna Glanovits nannte sich „Irgendwas mit Lamas“). Der Film hatte mich beeindruckt, weil ihm zum einen eine innovative Darstellung des Themas (in
diesem Fall auch technisch innovativ) gelungen ist, der Film zum anderen aber auch in besonders guter, analytischer Weise mit dem Thema umgegangen ist, also das Thema wirklich bearbeitet und eine
filmische Einsicht in die Thematik gegeben hat. Ich fand die Einheit einer sehr guten filmischen Umsetzung mit einer starken analytischen Komponente sehr gelungen, sodass man wirklich sagen
konnte, dass der Film hilft, sich die Thematik verständlich zu machen und anzueignen.
Laura Walter:
Wenn Sie jetzt auf Ihre Zeit als Professor hier in Tübingen zurückblicken, welche Rolle hat dabei die Tübinale eingenommen?
Sachs-Hombach:
Ich bin ja vor allem Theoretiker. Meine Erfahrung ist (leider), dass Studierende in der Medienwissenschaft in Tübingen dazu tendieren, primär praktische Fertigkeiten erwerben zu wollen. Sie sind
eher von Praxis begeistert, während Theorie zu Unrecht als etwas Schwieriges und Unangenehmes gilt. Insofern fand ich es hilfreich, in der Vorlesung auch ein Praxisangebot zu haben, mit dem ich
den praktisch orientierten Studierenden entgegenkommen konnte, ohne auf die theoretischen Inhalte der Vorlesung ganz verzichten zu müssen.
Laura Walter:
Und gibt es in Bezug auf die Tübinale Entscheidungen oder Projekte, die Sie rückblickend vielleicht anders gemacht hätten?
Sachs-Hombach:
Ich blicke eigentlich nicht gerne zurück. Ich gehe davon aus, dass die Tübinale weiterhin angenommen wird, dass die Studierenden sie gut finden und das Institut sie weiter fördern wird. Große
Fehler kann es dann ja nicht gegeben haben.
Laura Walter:
Das stimmt. Mit dem Blick nach vorne, haben Sie Tipps und Wünsche an Ihre Nachfolgerin, Frau Professor Thiele, die jetzt die Tübinale als Schirmherrin begleitet?
Sachs-Hombach:
Tipps habe ich eher nicht. Tipps sind ja gut, um Probleme zu umgehen oder zu lösen, aber das kann Frau Thiele sicherlich bestens selber. Wünschen würde ich mir, dass die Tübinale Martina Thiele
wenig Arbeit und Probleme bereitet und statt dessen eine Bereicherung in ihrer Zeit hier in Tübingen darstellen wird.
Laura Walter:
Und haben Sie Wünsche für die Tübinale und wie es damit in Zukunft weitergehen soll?
Sachs-Hombach:
Eigentlich nicht. Ich denke auch über die Zukunft nicht sehr gerne nach. Wichtig ist vor allem die Gegenwart. Aber vielleicht doch ein paar allgemeine Anmerkungen. In der Entwicklung der Tübinale
gab es immer einige strukturelle Vorgaben, aber vieles war offen und variabel. Zu den variablen Dingen gehörte, was konkret von den Gruppen zu organisieren war oder welche Orga-Gruppen es im
Einzelnen gab. Auch der Name „Tübinale“ war nicht schon beim ersten Mal vorgegeben, sondern stammt von einer der Orga-Gruppe. Heute würde ich ihn aber zu den strukturellen Vorgaben zähen. Wenn
jemand die Veranstaltung im nächsten Jahr nicht mehr „Tübinale“ nennen wollte, wäre das schlecht, weil der Name bereits etabliert ist und sich gut als Werbung eignet, um die Tübinale sichtbarer
zu machen. Die Grenze von strukturellen Vorgaben und gestalterischen Möglichkeiten verschiebt sich also, und idealerweise entstehen damit zugleich neue variabele Bereiche, die den Interessen der
Studierenden entgegenkommen und die erlauben, auf gesellschaftliche und/oder universitäre Entwicklungen einzugehen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Gleichgewicht von Struktur und Variabilität
erhalten bleibt, so dass etwa auch neue Orga-Gruppen entstehen können, die etwas machen, was es vorher noch nicht gab. Zum Beispiel gab es auch die Social-Media-Gruppe als Orga-Gruppe erst
relativ spät, weil die sozialen Medien ihre große Bedeutung erst in den letzten Jahren bekommen haben. Die Tübinale sollte also über diese variablen Bereiche verfügen, um auf die Entwicklungen in
Gesellschaft und Medien reagieren zu können.
Laura Walter:
Noch ein kurzer persönlicher Ausblick. Haben Sie für die Zeit ihrer Pensionierung schon Projekte oder Interessen, denen sie sich jetzt widmen wollen, wenn Sie wieder mehr Zeit haben?
Sachs-Hombach:
Professor*innen sind in der Regel immer in bestimmten Projekten und Forschungszusammenhängen aktiv, das ändert sich mit der Emeritierung nicht. Das gilt insbesondere für philosophisch
interessierte Menschen. Einmal Philosoph, immer Philosoph. In meinem Fall gibt es auch ein paar konkrete Publikationsprojekte. Der Vorteil ist aber, dass man nun selber entscheiden kann, wann man
sich mit welchen Themen beschäftigt. Mit der Rente gewinnt man eine große Freiheit zurück, die man in universitären und institutionellen Zusammenhängen lange Zeit hat vermissen müssen. Ich freue
mich erst mal sehr, diese Freiheiten erneut zu haben, und dann warte ich mal ab, was sich daraus entwickeln wird. Auf jeden Fall werde ich bevorzugt nur noch das machen, was mir Spaß macht und
was ich für sinnvoll erachte.
Laura Walter:
Zum Abschluss noch eine letzte Frage. Gibt es etwas, das Sie der jetzigen oder der nächsten Generation von Studierenden gerne mit auf den Weg geben möchten?
Sachs-Hombach:
Mit Ratschlägen ist es immer schwierig. Eine Einsicht, die mir im Leben als besonders wichtig erschienen ist und deren Bedeutung mir auch zunehmend klarer geworden ist, besteht darin, dass man
Lebensentscheidungen nicht inhaltlich fällen sollte. Wenn ich mich frage, ob ich mich für das eine oder für etwas anderes entscheiden soll, oder wenn ich grundsätzlicher frage, was ich eigentlich
tun müsste, um mit mir selbst zufrieden sein zu können, dann hilft es oft nicht, eine Sache zu benennen, die man zu vermissen meint. Anders gesagt: Es ist prinzipiell problematisch zu denken,
dass die Probleme gelöst sein werden, wenn ich erst mal diesen oder jenen Gegenstand besitze, diesen oder jenen Beruf ausübe, in dieser oder jener Familienform lebe. Denn die erwünschten Inhalte
ändern sich, sind mitunter nicht verlässlich oder verlieren ihre Bedeutung. Die richtige Art zu leben besteht meines Erachtens nicht einer Orientierung an Inhalte, sondern in der Form, also in
der Art und Weise, wie man etwas macht. Es ist wichtig, dass man das, was man macht, mit einer gewissen Begeisterung macht. Die Zeit, die man etwa in Seminaren verbringt, sollte man intensiv
verbringen. Sonst ist sie verschwendet und verloren. Das scheint mir vor allem wichtig zu sein.
Vermutlich hat das aber auch etwas mit dem Alter zu tun. Wenn man älter wird, merkt man, wie wertvoll Zeit ist. Es ist absurd und kontraproduktiv, Zeit zu verschwenden. Zeit zu nutzen heißt andererseits nicht, eine Aufgabe möglichst schnell zu erledigen, auch wenn das mitunter natürlich hilfreich und vorteilhaft sein kann. Wichtiger ist, denke ich, dass man, was immer man macht, richtig macht. Ernst Tugendhat hat dies das adverbiale Gute genannt. Es ist die Grundlage für alles Weitere, auch für das moralisch Gute. Ich glaube, dass es auch der Schlüssel für das eigene Lebensglück ist. Wir müssen akzeptieren, dass das Leben mitunter sehr schwierig ist, wir können es aber Herausforderung annehmen, um, was immer wir machen, gut zu machen.
Laura Walter:
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um unsere Fragen zu beantworten und wir so ein bisschen zurückblicken konnten. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihren neuen
Lebensabschnitt.
Sachs-Hombach:
Herzlichen Dank.
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